Kritik an VTA

Seit über 30 Jahren existiert ein ausformuliertes Konzept zur Baumbegutachtung, die „Statisch integrierte Abschätzung“ (SIA). Dabei wird dem Außendurchmesser der Stämme ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt. Je dicker die Stämme, desto sicherer sind die Bäume, wohingegen Ausmorschungen im Stamminneren eine untergeordnete Rolle spielen (Praktische Betrachtungen).

Diesem Konzept stand immer t/r = 0,3 (VTA) entgegen, also eines, das den Hauptfokus auf das Ausmaß der Fäule im Inneren des Stammes legt. Der Sicherheitsgewinn durch Dickenwachstum wird weit geringer bewertet, als der Sicherheitsverlust durch Zunahme der Fäule im Inneren.

Hier widersprechen sich zwei Begutachtungsverfahren und kommen zu stark unterschiedlichen Ergebnissen. Das darf nicht über 30 Jahre toleriert werden, eines muss zu falschen Ergebnissen kommen.


Wie wird t/r = 0,3 - das VTA-Versagenskriterium - begründet?

  • es gibt eine weltweite Feldstudie, aus der diese Regel „abgeleitet“ wurde

  • ab 70% Ausmorschung versagen die Stämme nicht durch Faserstauchen, sondern durch: 
               Biegeschubrisse
               Holschlauchknicken (= Strukturversagen)
               Tangentialzugrisse
               ...

Zur weltweiten Feldstudie:
Es ist noch immer nicht gelungen, zu klären, ob diese Feldstudie, mit Beschreibung der Bäume und Grundlagen der Methode, jemals publiziert wurde. Nämlich diese weltweite Feldstudie, aus der das Versagenskriterium abgeleitet wurde, nicht Publikationen über diese Feldstudie, die es häufig gibt. Ich selbst war mehrere Monate mit dem Forschungszentrum Karlsruhe, mit Dr. Mattheck persönlich und mit seinen Mitarbeitern in E-Mail Kontakt und habe mehrmals nach dieser Publikation gefragt. Sie wurde mir nicht namhaft gemacht. Jeder ist eingeladen es selbst zu versuchen.

Es ist festzuhalten, dass eine unbekannte und damit für niemanden nachprüfbare Arbeit für den wissenschaftlichen Diskurs nicht existiert. Es dürfen daraus keine weitreichenden, allgemeingültigen Regeln wie das Sicherheitskriterium t/r ≥ 0,3 abgeleitete werden. Sobald eine Publikation dieser Feldstudie, die die Grundlage für diese Formel ist, bekannt wird, ist sie kritisch zu durchleuchten und könnte t/r = 0,3 eventuell untermauern.


Zu: ab 70% Ausmorschung versagen die Stämme nicht durch Faserstauchen sondern…
Dies ist eine Behauptung, die noch nie durch Untersuchungen belegt wurde. Es wird auch nicht auf den wesentlichen Unterschied zwischen Primär- und Sekundärversagen eingegangen.

Alle Angaben zu diesem Thema beruhen scheinbar auf optische Beobachtungen von Bruchereignissen oder an bereits liegenden Bäumen. Primärversagen in Baumstämmen kann aber mit freiem Auge nicht gesehen werden, dazu sind die Bewegungen unter der Rinde zu gering. Mit freiem Auge sind nur Sekundärversagen erkennbar. Für die Beurteilung der Sicherheit von Baumstämmen muss aber, wie in der Technik allgemein üblich, das Primärversagen herangezogen werden.

Daher haben wir Bäume unter Monitoring durch Messgeräte belastet und konnten bei 100% unserer Testbäume mit Versagen im Stamm, Faserstauchen als Primärversagen feststellen - jedes Mal für das Auge unsichtbar. Im späteren Verlauf sind dann bei einigen Bäumen weitere Versagensszenarien (Ovalisierung, Tangentialzugrisse, Zerbrettern der Stämme, …) aufgetreten, diese waren aber alle Sekundärversagen. Die Höhlungsgrade dieser Bäume beliefen sich auf rund 80-90%. (Masterarbeit).

Liegt der zerbretterte Stamm am Boden, so können viele Versagensarten hineininterpretiert werden. Welches Versagenszenarium zugetroffen hat kann man nur wissen, wenn man gemessen hat, was vor dem Sekundärversagen im Stamm passiert ist.


Schlussfolgerung
Es existiert keine haltbare Grundlage für t/r = 0,3.

Weder die „weltweite Feldstudie“ kann herangezogen werden, da ihre Grundlagen unbekannt sind, noch ändert sich das Primärversagen im Stamm bei Erreichen von 70% Ausmorschung. Keiner der zwei Ansätze hält einer kritischen Kontrolle stand.


Wieso gibt es dann in der Praxis nicht mehr Baumunfälle?
Bei Baumuntersuchungen nach SIA sind wir (SAG-Baumstatik) mittlerweile sehr gut in der Lage die Belastungen im Baum, sowie die Reaktionen darauf abzuschätzen. Die Methode, die in den 80er Jahren von Dr. Wessolly entwickelt wurde, wird laufend verfeinert. Wir arbeiten dabei mit den international erfolgreichsten Wissenschaftlern zusammen und nehmen deren Ergänzungen und Ratschläge gerne an.

Der Zugversuch, als wesentliche Informationsquelle über die Vorgänge im Baum, ist ausgereift. Über 10.000 Gutachten an Bäumen mit Hilfe des Zugversuches stehen einer handvoll bekannter Baumversagen gegenüber. Für die meisten untersuchten Versagen haben sich plausible Ursachen finden lassen, zum Beispiel wurde das Baumumfeld nach der Gutachtenserstellung verändert (Anschüttungen beseitigt, Windschutz entfernt, …). Natürlich kam es auch zu individuellen Fehlern bei der Anwendung bzw. Auswertung. Trotz dieser Fehler, an deren Vermeidung wir arbeiten, ist die Versagensrate sehr gering.


Wieso kommt es nach VTA nicht zu vielen Versagen, wenn doch die Basis der Methode nicht gültig ist?
Das VTA Versagenskriterium ist für die Bäume so „streng“, dass sie in der Regel entfernt oder reduziert werden, lange bevor es tatsächlich notwendig wäre. Aber natürlich kann das VTA Kriterium, in Ausnahmefällen, auch zu „baumfreundlich“ sein, wie die „Praktischen Betrachtungen“ zeigen. Ein einziger Faktor kann die Realität der unterschiedlichen Baumstandorte und unterschiedlichen Bäume eben nicht abbilden.

Da VTA die Bäume in der Regel zu streng beurteilt entsteht der Schaden nicht durch Baumversagen, sondern durch deutlich zu früh gesetzte Maßnahmen oder Fällungen. Den Nachteil durch die Methode erleiden daher die Geldbeutel der Baumeigentümer (Gemeindebürger) sowie die Bäume selbst, die gefällt und verstümmelt werden.


Anmerkung
Wichtig ist mir auch darauf hinzuweisen, dass sich eventuell ein Gärtner darauf berufen kann ein Begutachtungsverfahren anzuwenden, das bekannt und etabliert ist ohne es kritisch hinterfragen zu müssen.

Ein Baumgutachter, der mit seinem Sachverstand wirbt muss die Grundlagen der Begutachtungsverfahren denen er folgt, verstehen und fachlich begründen können warum er diesem folgt und dem anderen nicht. Das ist besonders vor dem Hintergrund der Jahrzehnte anhaltenden Kritik an den Methoden notwendig.

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